Kapitel 7

600 Jahre unter freiem himmel

Wie Clio es ihm beschrieben hatte, folgte Santi dem Flusslauf der Kinzig und als von dieser die Gutach abfloss, folgte er dieser. Als sich die Häuser verdichteten ahnte Santi, dass er seinem Ziel nahe war. Ganz sicher war er aber spätestens dann, als er an einen Bahnhof gelangte, dessen Name Gutach Freilichtmuseum lautete. Von hier aus musste Santi auch nicht lange nach dem Vogtsbauernhof suchen, denn er lag nur unweit vom Bahnhof entfernt. 

       Santi freute sich schon, die Vergangenheit des Schwarzwaldes so hautnah erleben zu können, als er auf einer Wiese auf dem Museumsgelände landete. Auf dem großen Gelände konnte er überall verstreut die Schwarzwaldhöfe sowie Viehweiden und andere Gebäude entdecken. Bestimmt bargen sie alle ihre eigenen besonderen Entdeckungen. Doch wo sollte Santi anfangen? Gerade wollte er sich aufmachen, um sich irgendwo eine   Informationsbroschüre zu organisieren, als ein Hase über die Wiese zu ihm gehoppelt kam und ihm schon von weitem zuwinkte. Als der Hase bei Santi angelangt war, stellte er sich auch sogleich vor:

       »Hey du, Papagei. Ich bin Johannes. Was machst‘n du hier? Willst du dir das Museum anschauen? Oder bist du nur aus Versehen hier gelandet? Papageien haben wir hier nämlich nicht so oft. Es war zwar mal ein Besucher hier, der einen Kakadu dabei hatte, aber der war die ganze Zeit mit den Menschen unterwegs, deshalb konnte ich den gar nicht kennenlernen. Deshalb bin ich auch so schnell zu dir gehüpft, das wollte ich mir nicht schon wieder entgehen lassen. Du musst ja von weit her gekommen sein und hast deshalb bestimmt super viel zu erzählen. Ich komme zwar nicht von so weit her, aber ich habe auch eine Menge zu erzählen. Hier passiert nämlich auch allerhand! Aber sag mal, Papagei, du hast mir ja deinen Namen noch gar nicht verraten. Ich heiß Johannes, habe ich das schon gesagt?«

       Santi war schwer beeindruckt von Johannes Redeschwall, denn der kleine Hase redete so schnell, dass Santi Mühe hatte ihm zu folgen. Gerne hätte er sich zu Beginn von Johannes Rede ebenfalls vorgestellt, aber dieser hatte keinen Moment Luft gelassen, in dem es Santi möglich gewesen wäre. Bevor Johannes also zum nächsten Monolog ansetzen konnte, nutzte Santi schnell seine Chance: 

       »Ich heißte Santi. Und ich bin extra hier vorbeigeflogen, weil ich gerne mehr über die Schwarzwälder Lebensweise von früher erfahren würde.«

       Aufgeregt nickte Johannes. 

       »Dann bist du hier goldrichtig – bei uns auf dem Vogtsbauernhof und bei mir. Ich bin nämlich von hier, das heißt ich wohne hier. Habe ich schon immer und werde ich hoffentlich auch immer. Weil’s hier so schön ist! Und man kann was lernen – also du kannst was lernen. Ich weiß das alles schon. Ich kann’s dir erzählen und dir alles zeigen. Was meinst du?«

       »Ja gerne«, nahm Santi das Angebot an. 

       Wie könnte er mehr erfahren, als wenn ihn jemand, der über das Museum Bescheid wusste, herumführte? Außerdem konnte bestimmt niemand mehr Informationen in kurzer Zeit von sich geben als Johannes. 

       Prompt ging der Rundgang auch schon los und Johannes hoppelte voran und gab die Richtung vor, während Santi neben ihm her ging. So führte sie ihr Weg vorbei an verschiedenen Schwarzwaldhöfen aus unterschiedlichen Jahrhunderten – das älteste über 600 Jahre alt. Die verschiedenen Häuserarten stellten die für die jeweilige Zeit typische Wohnform dar und hatten alle einen individuellen Charakter. 

       »Bis auf den Vogtsbauernhof, der Hof, der dem Museum seinen Namen gegeben hat, wurden alle Häuser an ihrem ursprünglichen Standort im Schwarzwald abgebaut und hier wieder original so aufgebaut«, erklärte Johannes dabei. »Acht verschiedene Höfe gibt es hier. Der Älteste wurde schon 1407 gebaut, der Neueste ist von 1819.«

       In den Häuser konnte man auch erleben, wie die Menschen früher ihre Tage verbracht hatten. So konnte man der Bollenhutmacherin bei der Herstellung des markanten Kopfschmucks zusehen, konnte die Gerüche vergangener Abendessen in der Rauchküche erahnen, dem Vieh bei den Häusern beim Muhen zuhören oder beim Schlendern durch den Bauerngarten dessen Aromen aufnehmen. Zwischen den Häusern wurden auch die typischen Schwarzwälder Handwerkstraditionen vermittelt, wodurch Santi einiges lernte über die Glas- und Steingutherstellung sowie die Uhrenherstellung und nachdem Johannes ihm erklärt hatte, dass er sich bei der Schneflerwerkstatt um den Ort handelte, an dem die Menschen früher schnitzten, auch darüber. 

       Nicht nur Johannes und Santi waren auf dem Gelände des Freilichtmuseums unterwegs, sondern auch andere Besuchergruppen, die geführt oder allein den hier dargestellten Schwarzwald erkundeten. Viele übten sich während ihres Besuchs außerdem in einer der angebotenen Aktivitäten und so konnte Santi immer wieder Menschen dabei beobachten, wie sie Brot backten, Körbe flochten oder etwas schmiedeten. So schien jeder auf seine Kosten zu kommen. 

       Als Johannes sie schließlich wieder zum Eingang, ihrem Ausgangspunkt, geführt hatte, rauchte Santi der Kopf. Denn Johannes hatte genau das getan, was Santi von ihm erwartet hatte: er hatte ihm all sein Wissen über die Höfe und den Schwarzwald weitergegeben und das in einem halsbrecherischen Tempo. Dennoch hatte Santi keine Sekunde und kein Wort verpassen wollen, denn das Freilichtmuseum war genau so anschaulich und interessant, wie er es gehofft hatte. 

       Glücklich über seinen Mittag, bedankte sich Santi deshalb bei Johannes: 

       »Vielen Dank für den großartigen Rundgang. Du bist wirklich ein erstklassiger Führer.« 

       Das Lob schien Johannes sichtlich stolz zu machen. 

       »Das freut mich«, meinte er aufrichtig. »Die anderen hier sagen immer, ich rede zu viel. Aber wenn du das nicht so empfunden hast, dann können sie ja nur Unrecht haben.« 

       Santi brachte es nicht übers Herz ihm die Wahrheit zu sagen, deshalb winkte er ab: 

       »Nein gar nicht.«

       Ein anschließender kurzer Blick auf seine Uhr verriet Santi, dass es noch gar nicht so spät war, wie er erwartet hatte. Gefühlt hatten er und Johannes eine recht lange Zeit mit ihrer Entdeckungstour verbracht. Nun aber hatte Santi noch ein paar Stunden Zeit für einen weiteren Stopp. Johannes, der Santi dabei beobachtet hatte, wie er nach der Uhrzeit gesehen hatte, schien seine Gedanken lesen zu können, denn auf Santis unausgesprochene Frage antwortete er: 

       »Wenn du dich jetzt fragst, wo du als nächstes hinfliegen sollst, dann kann ich dir auf jeden Fall die Rodelbahn empfehlen, die hier ganz in der Nähe liegt. Die macht seeehr viel Spaß.« 

       Johannes schien ganz verzückt von seiner Empfehlung zu sein, doch Santi war verwirrt. Um Rodeln zu können brauchte man doch Schnee? 

       »Aber es ist doch Sommer, wie soll ich denn da Rodeln?«, fragte Santi deshalb. 

       »Die Bahn ist doch eine Sommerrodelbahn. Da saust man über Schienen nach unten. Wenn du das noch nie irgendwo gemacht hast, solltest du es unbedingt hier machen.«

       Wenn Johannes so überzeugt davon war, dann wollte Santi sich den Spaß wirklich nicht entgehen lassen. Deshalb bedankte er sich erneut bei Johannes und verabschiedete sich von dem kleinen Hasen. Dann flog er in die Richtung, die dieser ihm beschrieben hatte. Erneut folgte er der Gutach und so ging es hinweg über Wohnhäuser und Straßen, bis Santi schließlich die Rodelbahn erreichte. Er konnte sie schon von weitem erkennen, denn die Bahn schlängelte sich in Kreiseln, Geraden, Tunneln und Windungen dem Berg hinunter. In ausreichenden Abständen fuhren Menschen allein oder zu zweit hinab ins Tal – und alle hatten dabei sichtlich Spaß. Nachdem Santi das Treiben einen Moment aus der Luft beobachtet hatte, flog er über die Bahn hinweg nach oben zu deren Anfang. Nun wollte er die Fahrt auch erleben. Oben angekommen wartete er bis ein Bob frei war und stieg in diesen ein. Gerade hatte er den Gurt fest um sich geschnallt, als der Bob sich auch schon auf den Weg zurück ins Tal machte. Langsam nahm der Bob Tempo auf und schon wenig später sauste Santi mit rasanter Geschwindigkeit über die Bahn. So fuhr der Bob hinein in Kreisel, hinab in Tunnel und wieder hinauf zu kleinen Sprüngen. Die abwechslungsreiche Bahn bot ein wahres Rodelvergnügen und schon nach wenigen Metern konnte Santi Johannes Begeisterung vollends verstehen. Als der Bob am Ende der Bahn angelangt war, war Santi regelrecht traurig darüber, dass die Fahrt schon zu Ende war. Deshalb schnallte er sich ab und flog prompt wieder hinauf zum Start der Bahn, um erneut ins Tal zu rodeln. 

       Am Ende seines Besuchs der Rodelbahn, bekam Santi das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht – so viel Spaß hatte ihm die Bahn bereitet. Mittlerweile war auch die Dämmerung bereits angebrochen und so machte sich Santi auf den Weg, um sich einen Schlafplatz zu suchen. Während neben ihm am Horizont die Sonne unterging, flog Santi erneut Richtung Norden, denn da ging der von ihm noch unentdeckte Schwarzwald weiter. Bevor er diesen aber erreichte, schlug er sein Nachtlager auf dem Turm eines kleinen Orts auf. Von hier hatte er einen guten Ausblick über das Örtchen, dessen Straßen gesäumt waren von historischen und bunten Häusern. In der abendlichen Stimmung gingen Menschen durch die Gassen, bummelten in den Einkaufsläden oder genossen ihr Essen in einem der Restaurants. Wäre Santi nicht so müde von seinem Tag gewesen, hätte es auch ihm gefallen noch durch die Straßen zu wandeln. Stattdessen aber beobachtete er das Treiben noch eine Weile, bis ihm schließlich die Augen zufielen. 

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Das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof

Die Sommerrodelbahn in Gutach

Die Altstadt von Gengenbach

Das Rathaus von Gengenbach

Santi taucht ab in eine andere Welt: